Bernard Bolzano
Bernard Bolzano wurde 1781 in Prag geboren. Als katholischer Priester und Philosoph ging es ihm vor allem um die Frage des Gemeinwohls und wie man zu diesem beitragen kann. Seine, auch in seinen Vorlesungen als Theologieprofessor vorgetragene, offene Kritik an den damaligen gesellschaftlichen Zuständen führte letztlich 1819 zu seiner Abberufung durch Kaiser Franz und zu einem Prozess gegen ihn, der erst 1825 eingestellt wurde.
Bereits während seiner Zeit als „Weltpriester, Doctor der Philosophie, k.k. Professor der Religionswissenschaft, und ordentlichem Mitgliede der k. Gesellschaft der Wissenschaften zu Prag“ beschäftigte sich Bolzano intensiv mit mathematischen Grundlagen.
Ausgangspunkt seiner 1817 erschienenen Schrift Rein analytischer Beweis des Lehrsatzes, dass zwischen je zwey Werthen, die ein entgegengesetztes Resultat gewähren, wenigstens eine reelle Wurzel der Gleichung liege ist die durch ihn erstmals formulierte Definition der Stetigkeit einer Funktion: „Man versteht unter der Redensart, daß eine Function fx für alle Werthe von x, die inner- oder außerhalb gewisser Grenzen liegen, nach dem Gesetze der Stetigkeit sich ändre, nur so viel, daß, wenn x irgend ein solcher Werth ist, der Unterschied f(x+ω) − fx kleiner als jede gegebene Größe gemacht werden könne, wenn man ω so klein, als man nur immer will, annehmen kann“. Die heute übliche Formulierung dieser Definition kommt etwas formaler daher, besagt aber inhaltlich dasselbe!
Auf Grundlage dieser Definition beweist Bolzano seinen Lehrsatz, den man heute Nullstellensatz nennt: Ist eine Funktion f auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b] definiert und auf ]a, b[ stetig, und haben f(a) und f(b) verschiedene Vorzeichen, dann existiert mindestens eine Nullstelle von f zwischen a und b (→ Beweis). Äquivalent zum Nullstellensatz ist der heute sogenannte Zwischenwertsatz. Dieser besagt, dass eine reelle Funktion f, die auf einem Intervall ]a, b[ stetig ist, jeden Wert zwischen f(a) und f(b) annimmt.
Im Nachlass von Bolzano fand Karel Rychlík etwas, was für die damalige Zeit sensationell war, nämlich Bolzanos erstmalige Konstruktion einer Funktion, die in einem ganzen Intervall stetig, aber dort nirgends differenzierbar ist. Diese Funktion wird heute Bolzanofunktion genannt und wird wie folgt konstruiert: Gegeben seien zwei Punkte A(a|α) und B(b|β), die den Definitionsbereich [a, b] und den Bildbereich [α, β] der Bolzanofunktion bestimmen. Mit A und B hat man eine lineare Funktion B0 auf [a, b]: B0(x) = (x − a)·(β − α)/(b − a) + α. Nun wird der Mittelpunkt von AB mit C bezeichnet und D(d|δ) und E(e|ε) werden in Abhängigkeit von A und B wie folgt definiert:
d = a + 3/8·(b − a)
δ
= α + 5/8·(β − α)
e = a + 7/8·(b − a)
ε
= β + 1/8·(β − α)
Dann ist durch den Polygonzug ADCEB eine stückweise lineare Funktion auf [a, b] gegeben; diese soll B1 heißen. Aus B1 leiten wir B2 her, „indem wir mit jedem der vier Stücke, in welche der Abstand b − a nach dem vorigen Verfahren zerlegt worden ist, das vornehmen, was wir vorhin mit dem ganzen Abstande thaten, dh. auch jedes dieser Stücke in vier andere zerlegen“ (Functionenlehre, S. 67). Die Bolzanofunktion B ist nun der Grenzwert der Funktionenfolge (Bn)n∈ℕ:
B(x) = lim n→
∞
Bn(x).
Die folgende, mit Maple hergestellte Grafik zeigt B7 auf dem Intervall [2, 10].
1781 | Bolzano wird am 5. Oktober in Prag geboren. |
1795 | Studium der Philosophie an der Prager Universiät (bis 1800). |
1801 | Studium der Theologie |
1805 | Promotion. Bolzano wird zum Priester geweiht. |
1806 | Vorlesungstätigkeit als Professor der Religionslehre (bis 1819). Mathematische Studien. |
1810 | Beyträge zu einer begründeteren Darstellung der Mathematik. |
1815 | Bolzano wird Mitglied der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. |
1816 | Der binomische Lehrsatz und als Folgerung aus ihm der
polynomische und die Reihen, die zur Berechnung der Logarithmen und Exponentialgrößen dienen, genauer als bisher erwiesen. Präzisierung des Begriffs der "unendlich kleinen Größen". |
1817 | Rein analytischer Beweis des Lehrsatzes, daß zwischen je zwey
Werthen, die ein entgegengesetztes Resultat gewähren, wenigstens eine reelle Wurzel der Gleichung liege. |
1818 | Bolzano wird Direktor der naturwissenschaftlichen Abteilung der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. |
1819 | Kaiser Franz entzieht Bolzano die Lehrerlaubnis als Theologieprofessor. |
1820 | Verweis von der Universität; Bolzano erhält Publikationsverbot und Verbot jeglicher öffentlicher Tätigkeiten. |
1837 | Veröffentlichung der Wissenschaftslehre in vier Bänden: Versuch einer ausführlichen und größthenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige Bearbeiter. |
1848 | Bolzano stirbt am 18. Dezember. |
1851 | Veröffentlichung seiner Schrift Paradoxien des Unendlichen, unter anderem mit Untersuchungen der Eigenschaften unendlicher Mengen. |
1930 | Functionenlehre von Bolzano, herausgegeben von K. Rychlík. Konstruktion einer in einem ganzen Intervall stetigen, aber dort nirgends differenzierbaren Funktion. |
1931 | Zahlentheorie von Bolzano, herausgegeben von K. Rychlík. |
1932 | Veröffentlichung seiner Schrift Von dem besten Staate. |